Regiestatement

“Für mich gab es schon immer Buchstaben, die ich mehr mochte, als andere. Das liegt nicht am Klang sondern daran, dass sie mir entweder leicht über die Lippen kommen oder aber mit Stottern. Ich denke über Dinge nach, an die andere keinen Gedanken verschwenden würden: Mit welchem Wort melde ich mich am besten am Telefon, damit ich das Telefonat nicht gleich mit einem langen Block beginne? Welches Brötchen wähle ich beim Bäcker aus, um möglichst flüssig bestellen zu können ? Welchen Namen kann ich meinem Kind geben, so dass ich ihn ohne Stocken und Anstrengung aussprechen kann?

Manches davon tue ich noch immer, aber das ist inzwischen ok für mich und ich lasse mir von meinem Stottern keinen Strich mehr durch die Rechnung machen. Denn am wichtigsten ist mir, dass ich das sage, was ich wirklich sagen will!“

Birgit Gohlke

„Stottern ausschließlich mit Sprechtechniken abzumildern oder durch Tricks Symptome oder gar ganze Sprechsituationen zu vermeiden, bringt selten echte Befriedigung - zumindest solange Angst, Wut oder Scham mit diesem rätselhaften Kontrollverlust verbunden sind.

Aus unterschiedlichsten Therapieprozessen mit vornehmlich jugendlichen und erwachsenen Stotternden, aber auch aus meiner eigenen Erfahrung als leicht Betroffene weiß ich, wie herausfordernd, vor allem aber befreiend es hingegen sein kann, das noch immer bestehende Tabu des Stotterns aufzubrechen. Offen und gelassen mit dem eigenen, aber auch mit dem Stottern eines Angehörigen umzugehen, ist in meinen Augen ein entscheiden der Schritt, um selbstverständliche soziale Teilhabe zu ermöglichen und teilweise haarsträubende Vorurteile endlich auflösen zu können.“

Petra Nickel

Als The King’s Speech 2011 ins Kino kam, fühlte es sich für zahlreiche Stotternde wie ein Befreiungsschlag an. Auch wir erlebten damals zum ersten Mal, dass ein Stotternder nicht wie üblich als Witzfigur oder psychisch Kranker dargestellt wurde, sondern als differenzierte und ernstzunehmende Persönlichkeit. Während Birgit emotional so ergriffen war, dass sie beinahe das Kino verlassen hätte, bekam Petra vor allem das durch den Film ausgelöste allgemeine Interesse am Thema Stottern zu spüren.

TV- und Rundfunksender machten sich in logopädischen Praxen und Selbsthilfegruppen auf die Suche nach herzeigbaren Fällen und wollten auch Petra davon überzeugen, mit einem kleinen stotternden Kind ins Studio zu kommen.

Unsere Haltung dazu war ambivalent. Einerseits freuten wir uns sehr über das erhöhte Interesse. Denn schließlich wünschten wir uns beide einen offeneren Umgang mit dem Thema. Andererseits ärgerten wir uns über die offensichtlich voyeuristische Zugangsweise, mit der Betroffene ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden sollten. Zu oft hatten wir schon verkürzte und von Vorurteilen geprägte Darstellungen und Diskussionen erlebt, die Stottern fälschlicherweise noch immer mit psychischen Störungen oder mangelnder Intelligenz assoziierten.Aus dem anfänglichen Ärger entstand Elan: Wir wollten einen Dokumentarfilm „von innen heraus“ entwickeln, der einen unerschrockenen und wie wir hoffen, auch durchaus humorvollen Blick auf das Thema wagt.

Es ist uns sehr wichtig, Stottern nicht nur in seiner Vielfalt an Erscheinungsformen zu zeigen und einen Einblick in die mit dem Stottern verbundenen Konflikte und Herausforderungen zu geben. Vielmehr wollen wir auf individuelle Strategien eingehen, die Betroffene im Laufe ihres Lebens entwickeln, um im Alltag gut mit dem Stottern umgehen zu können.

Wir waren von Anfang an der Meinung, dass unsere persönlichen Sichtweisen und unsere individuellen Verbindungen zum Thema eine hilfreiche Basis für die weitere Recherche, sowie für die Umsetzung des Projekts sein würden. Dass wir dann selbst vor die Kamera treten würden, ergab sich jedoch erst im Laufe der Arbeiten. Mit Protagonisten Gespräche auf Augenhöhe führen und das Thema somit noch direkter ansprechen zu können, empfanden wir als besondere Chance.

Unabhängig davon wurde immer deutlicher, dass viele von Birgits persönlichen Erlebnissen auch für andere Stotternde exemplarisch sind. Birgits individueller, sich seit ihrer Kindheit stetig weiterentwickelnder Umgang mit teilweise sehr schwierigen Situationen, erschien uns besonders ermutigend. Daher haben wir uns entschieden, diesen Emanzipationsprozess mit Hilfe von Animationen erfahrbar zu machen.

Und als Petra von einem Schauspieler gebeten wurde, ihm beim Entwickeln einer individuellen Stotter-Symptomatik zu helfen, eröffneten sich besonders für Nicht-Betroffene zusätzliche Möglichkeiten, um sich mit Hilfe dieses Erzählstrangs Schritt für Schritt demThema anzunähern.

Wir hoffen, dass MEIN STOTTERN dazu beitragen wird, dem Thema das Tabu zu nehmen und einen offenen Umgang mit dem eigenen, aber auch mit dem Stottern anderer zu entwickeln.

Petra Nickel & Birgit Gohlke